Freitag, 15. April 2022

Ein vorläufiges Schlusswort.


Liebe Genossinnen und Genossen,

wie viele von Euch sicherlich schon gehört haben, hat das 33. Landesjugendtreffen die Auflösung unseres Landesarbeitskreises beschlossen. Auch wenn wir gegen diese Entscheidung Widerspruch einlegen werden, endet damit bis zur Entscheidung der Schiedskommission vorläufig unsere Arbeit. Höchste Zeit also ein kleines Resümee über unser Wirken zu verfassen.

Fangen wir ganz von vorne an... Der Landesarbeitskreis bildete sich im Dezember 2016 aus den Überresten einer alten Vorgängerstruktur. Zeitlich fiel unsere Gründung mit verschiedenen, uns politisch stark prägenden, Ereignissen zusammen.

Nach der anfänglichen Empörung über die Pro-Palästina-Demonstration 2014 in Essen, deren Teilnehmer bundesweite Schlagzeilen durch antisemitische Ausschreitungen machten, beschloss der Bundeskongress 2015 seine erste Positionierung gegen Antisemitismus. Die tatsächlichen konkreten Konsequenzen, welche auch wir uns mit diesem Beschluss erhofft hätten, blieben jedoch aus. Vielmehr zeigte sich schon bald, dass die Verbandsmitte im Zweifel nicht für Antisemitismus sensibilisiert war: Bereits 2016 wählte der Bundeskongress mit Daniel Kerekeš einen der Organisatoren von Essen in den Verbandsvorstand. Skandal? – Fehlanzeige. Die Zentristen erhofften sich von seiner Wahl den mitgliederstarken, sich selbst als antiimperialistisch bezeichnenden, LV NRW besser in den Verband einbinden zu können und offenbarten damit, wie ernst es ihnen tatsächlich mit „Gegen jeden Antisemitismus“ war. Die Inaktivität des BAK Shalom tat ihr übriges dazu bei, dass ein entschiedener Aufschrei aus dem Verband über diese katastrophale Personalentscheidung ausblieb.

Im Zuge der islamistischen Attacken auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und dem pro-zionistischen Nachtclub Bataclan im Jahre 2015 wurde für uns zudem immer deutlicher, dass die Kritik am politischen Islam ein blinder Fleck der Linken war. Doch mehr noch: Kritik am Islam war explizit unerwünscht. Eine Initiative aus Sachsen-Anhalt auf dem Bundeskongress 2017 eine Positionierung gegen Islamismus zu erreichen wurde von der Verbandsmitte mit aller Kraft blockiert. Es war schließlich ein durch uns erstellter und gemeinsam mit dem – auch durch unseren Einsatz reaktivierten – BAK Shalom eingebrachter Antrag, welcher im Folgejahr eine knappe Mehrheit auf dem Bundeskongress fand und die erste und einzige Beschlusslage zu Islamismus bildet. In diesem heißt es unter anderem: „Die Linksjugend spricht sich gegen den Versuch aus, jede Kritik am politischen Islam pauschal als Rassismus zu brandmarken.“

In den Jahren seit unserer Gründung 2016 haben wir neben dieser auch weitere wichtige Verbandspositionen erstritten. Erwähnen wollen wir die Positionierung zur Islamischen Republik Iran (BuKo 2019) und gegen das islamische Kopftuch (LJT 2017). Wir hielten Vorträge zur Einführung in eine linke Islamkritik in mehreren Städten, u.a. in Jena, Halle, Leipzig, Magdeburg und Oldenburg. Wir organisierten selbst Veranstaltungen, unter anderem eine große Vortragsreihe 2019 zu 40 Jahren islamische Republik Iran. Darüber hinaus waren unsere Mitglieder Referenten bei verschiedenen Verbandsveranstaltungen, zum Beispiel über Feminismus, Geschichte der Antifa und zur Einführung in marxistische Gesellschaftskritik. Einen Großteil unserer Arbeit bildete stets das Schreiben von Texten und das Kommentieren aktueller politischer Ereignisse zu unserem Hauptbeschäftigungsfeld – der Kritik des politischen Islams. Darum waren wir in der Vergangenheit auch schon oft das Ziel von verbalen Attacken, Drohungen und autoritärer Auflösungsfantasien. Mit der letzten hat man nun (fürs Erste) Erfolg gehabt.

Wie konnte es dazu kommen? Über die Gründe, welche zur Annahme des Auflösungsantrages führten, können wir letztlich nur spekulieren. Der Antrag überraschte uns selbst wenige Tage vor der Mitgliederversammlung. Eine Chance darauf zu reagieren war weder gegeben noch durch die Antragsteller angedacht. Andere Termine hinderten uns zudem an der Teilnahme, weshalb auch die Debatte über unsere Auflösung komplett in unserer Abwesenheit durchgeführt wurde. Wir hatten es ehrlich nie in Betracht gezogen, dass dieses Verfahren in so einer Form durchgeführt werden könnte und sind uns sicher, dass dies noch vor wenigen Jahren im Jugendverband auch nicht möglich gewesen wäre. Unter Genossen finden wir diesen Umgang schlicht inakzeptabel.

Gleichzeitig müssen wir uns fragen wie es passieren konnte, dass eine Zweidrittelmehrheit einen Antrag angenommen hat, dessen Mangel an argumentativer Stärke nur noch durch seinen schlechten sprachlichen Stil geschlagen wird. Ohne Frage hat die Covid-19-Pandemie zu einem Knick in unserer Aktivität in den Verband hinein geführt. Seit dem ersten Lockdownjahr hat der LAK kaum Veranstaltungen mehr durchgeführt und sein Engagement innerhalb des Landesverbandes zurückgefahren, was sich rückblickend wohl als Fehler erwiesen hat. Anders lässt sich nicht erklären wieso selbst in unserer politischen Heimat Stimmen derart die Oberhand gewinnen konnten, welche in der Ablehnung einer Weltanschauung verrückterweise meinen Rassismus zu wittern.

Abgesehen von diesem nachzuholenden Versäumnis, einigen unerledigten Projekten und der Zuversicht mit einem Widerspruch erfolgreich zu sein, sehen wir uns momentan an einem Scheideweg: Braucht es Sisyphos im Jugendverband eigentlich noch?

Es gibt gute Gründe welche trotz alledem für eine Bejahung dieser Frage sprechen: Der Antisemitismus-Beschluss von 2015 steht derzeit massiv unter Beschuss. Erst kürzlich beschloss der Landesverband Berlin einen Antrag, welcher ganz explizit als Angriff auf die Beschlusslage – und als antisemitisch – aufzufassen ist. Auch Personen aus dem Marx21 Umfeld arbeiten seit längerem schon an einer Abschaffung der bestehenden Position. Gleichzeitig hat die Verbandsmitte seit Jahren eine Debatte zur Klärung verschleppt, sodass auch ein von uns mitverfasster Antrag, welcher den Beschluss inhaltlich nachschärfen wollte und Konsequenzen für antisemitisches Handeln fordert, seit dem BuKo 2019 auf Eis liegt.

Zudem vertreten wir die feste Überzeugung, dass die Frage, wie Linksjugend ['solid] und DIE LINKE zum Islam stehen, letztlich maßgeblich über ihre weitere Existenz entscheidet. Eine Linke, die aus falscher Rücksichtnahme keine Kritik an einer reaktionären Ideologie wie dem Islam zu üben bereit ist, macht sich selbst überflüssig. Mehr noch: Diese Linke verrät universelle Werte, ja sie erteilt dem Sozialismus, der für sie nicht mehr als eine hohle Phrase darstellt, eine Absage und leistet islamistischen Menschenfeinden Schützenhilfe, indem sie kritische Stimmen – egal ob sie wie in unserem Fall im eigenen Verband oder aus der migrantischen oder ex-muslimischen Community stammen – aus der Debatte tilgt.

Trotz dieser guten Argumente für ein Weitermachen haben wir uns entschlossen die Frage, ob und in welcher Form wir unsere Arbeit fortsetzen werden, zu einem späteren Zeitpunkt – nach dem anstehenden Schiedsverfahren – klären zu wollen. Wir schauen dabei mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die vergangenen Jahre zurück. Als Landesarbeitskreis wollen wir darum die Gelegenheit nutzen und allen danken, die unsere Arbeit als Referenten, Veranstalter oder Weggefährten in dieser Zeit begleitet haben. Unter anderem: Stephan Grigat, Justus Wertmüller, Felix Riedel, Kazem Moussavi, Fathiyeh Naghibzadeh, Ulrike Becker, Farshid Feridony, Naida Pintul, dem Mideast Freedom Forum, Dissens – Antifaschistische Gruppe Erfurt, Association Progrès, Aktionsgruppe gegen Antisemitismus Jena, dem ASTA der Uni Oldenburg, BAK Shalom, Linksjugend Sachsen-Anhalt, Linksjugend Halle, Linksjugend Leipzig (vor dem Ausschluss der RadikalfeministInnen).

Außerdem danken wir ausdrücklich allen, die uns privat wie öffentlich in den letzten Wochen ihre Solidarität und Unterstützung bekundet haben, ebenso wie den aufrechten Genossinnen und Genossen unseres Landesverbandes, welche sich bis zuletzt gegen unsere Auflösung aussprachen. Schön zu sehen, dass Sisyphos' Arbeit wohl doch nicht ganz unsinnig ist.

Es war uns eine Freude. Macht's gut & auf Wiedersehen.

Ihr werdet sicherlich nicht zum letzten Mal von uns gehört haben.


Euer Landesarbeitskreis Sisyphos