»Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.«
(Albert Camus in: Der Mythos von
Sisyphos)
Vom LAK emanzipatorische Kritik zum
LAK ['sisyphos]
Der Landesarbeitskreis
emanzipatorische Kritik konstituierte sich im Jahr 2013 als Reaktion
auf antiimperialistische Unzumutbarkeiten im Jugendverband. Seitdem
hat sich zumindest in Thüringen einiges bewegt. Dennoch halten wir
ein weiteres Engagement für notwendig. Nach langer Diskussion
entschieden wir uns zu einer Revision des alten Grundsatzpapieres
und dazu, den Neustart unter einem anderen Namen zu vollziehen.
Fortan trägt der Landesarbeitskreis
den Namen ['sisyphos], benannt nach der gleichnamigen Figur aus der
griechischen Mythologie. Folgt man der Erzählung Homers, dann war
Sisyphos ein die Götter verachtender Frevler, welcher aus diesem
Grund gezwungen wurde, einen Felsblock auf ewig einen Berg hinauf zu
wälzen. Am Gipfel angekommen, rollt dieser Felsen jedoch jedes mal
zurück ins Tal. Sisyphusarbeit ist darum heute noch ein geflügeltes
Wort für eine schwere und scheinbar sinnlose Tätigkeit ohne
absehbares Ende. Mit diesem Namen mögen wir uns den Vorwurf des Zynismus
einhandeln - und das auch nicht zu Unrecht. Dennoch wollen wir klarstellen, dass
wir unser Engagement innerhalb des Jugendverbandes keineswegs als
sinnlos erachten, wohl aber oft als mühselig und nervenaufreibend
wahrnehmen. Um diesen Charakter unserer politischen Arbeit zu
verbildlichen, haben wir den Namen Sisyphos gewählt.
Für uns stellt dabei nicht nur das
alltägliche Leben im Kapitalismus eine nicht hinnehmbare Zumutung
dar, auch das politische Arbeiten in einem Bundesverband, in dem
regressives Gedankengut in vielen Köpfen eine Heimat hat, bleibt
eine Aufgabe, die als Individuum kaum zu ertragen ist. Deswegen
möchten wir nicht vereinzelt bleiben, sondern wollen den
Landesarbeitskreis weiterhin als Plattform nutzen um diese
regressiven Tendenzen aufzudecken und anzuprangern.
Das ideologische Elend im Bundesverband – eine Bestandsaufnahme
Wenn vom Elend in der politischen
Linken die Rede ist, dann meinen wir damit in erster Linie den
linken Antisemitismus. Dieser trat in der Vergangenheit primär im
antiimperialistischen Flügel des Jugendverbandes auf. Aus unseren
Beobachtungen der letzten zwei Jahre, welche wir im Folgenden näher
darlegen wollen, leiten wir die These ab, dass der Antiimperialismus
für antisemitische Denkmuster augenscheinlich eine ideologische
Brutstätte darbietet.
In Folge des „Gaza Krieges“ im
Sommer 2014 ereigneten sich eine Reihe antisemitischer Vorfälle,
wobei auch unser Jugendverband eine sehr unrühmliche Rolle spielte:
Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen – insbesondere von der
Linksjugend ['solid] Ruhr – organisierten in Essen eine
antiisraelische Kundgebung, auf welcher sich ein antisemitischer Mob
formierte und danach unter Rufen wie „Hamas, Hamas – Juden ins
Gas“ marodierend durch die Stadt zog. [1] Weder die Veranstalter_innen, welche jegliche Mitschuld an diesen
Ausschreitungen bis zum heutigen Tag vehement abstreiten, noch der
damalige Bundessprecher_innenrat, der zwar immer Konsequenzen
versprach, real aber ein Dreivierteljahr untätig blieb, zeigten
sich willens den Vorfall von Essen kritisch aufzuarbeiten. So blieb
es an den Mitgliedern des Jugendverbandes selbst etwas zu tun. Auf
Initiative der sächsischen Genoss_innen wurde darum auf dem
Bundeskongress 2015 in Erfurt der Antrag „Gegen jeden
Antisemitismus“ behandelt. Während der Debatte demaskierten sich
dabei die antiimperialistischen Teile des Verbandes indem sie auf
den weiteren Gebrauch der antisemitischen Mär vom „Apartheidsregime
Israel“ insistierten. Daniel Kerekeš – damals Wortführer der
mitgliederstärksten Delegation NRW und selbst einer der
Organisator_innen der Kundgebung von Essen – betonte noch auf dem
Bundeskongress, dass dieser Beschluss für die Praxis in seinem
Landesverband keine Auswirkung haben und man sich demzufolge auch
nicht an ihn halten werde. Letztlich gelang es jedoch einer knappen
Mehrheit der anwesenden Delegierten sich von jeder Art des
Antisemitismus zu distanzieren. [2]
Die Euphorie über den Erfolg des
Antrages war groß, noch größer war nur die Ernüchterung als
deutlich wurde, dass dieser Antrag an der Akzeptanz von
Antisemit_innen im Jugendverband nichts geändert hat. Denn solange
antiimperialistische Landesverbände wie Nordrhein-Westfalen durch
ihre politische Agenda Antisemit_innen einen angenehmen Rückzugsort
darbieten, werden diese nicht durch einen vom Bundeskongress
beschlossenen Antrag freiwillig den Jugendverband verlassen. Ein
entschiedenes Vorgehen gegen Antisemit_innen wurde jedoch aufgrund
der Angst vor einer Spaltung aufgegeben. Damit ließen die
Verantwortlichen im Jugendverband die Chance, unmissverständlich
mit der Persistenz antisemitischer Ressentiments zu brechen, verstreichen und
erlaubten gleichzeitig den nach dem Erfurter Bundeskongress
angeschlagenen Kräften zu rekurieren.
Auf dem Bundeskongress 2016 traten
diese darum wieder deutlich selbstbewusster auf. Während einer
spontanen Demonstration durch Nürnberg wurden von diesen Kreisen
Parolen wie „Nie wieder Erfurt“ und „Free Palestine“
skandiert. In einer Pause wurde von mutmaßlichen
Antiimperialist_innen der antisemitische Gassenhauer „Antideutsche
sehen alle scheiße aus“ eingespielt, in welchem der Terror der
Hamas mit der Liedzeile „du hast Recht die Hamas hasse ich sehr,
doch 'Antideutsche' hasse ich noch mehr“ relativiert wird. Der
Initiative einzelner Genoss_innen ist es dabei zu verdanken, dass
dieser Vorfall noch vor Ort skandalisiert wurde und nicht unter den
Teppich gekehrt werden konnte. Nichtsdestotrotz konnte nicht
verhindert werden, dass mit Daniel Kerekeš ein bekennender Gegner
des Antrages „Gegen jeden Antisemitismus“ in den aktuellen
Bundessprecher_innenrat gewählt wurde.
Die hier nachgezeichneten
Entwicklungen infolge der Ereignisse von Essen stellen keineswegs
die einzigen Vorfälle in diesem Zeitraum dar. Eine vollständige
Auflistung des ideologischen Elends wäre schon ein sisyphäisches
Projekt an sich, welches wir an dieser Stelle nicht weiter ausführen
wollen. Verwiesen sei hier lediglich noch auf die
Übergriffe auf BAK Shalom Aktivist_innen in Wuppertal 2014. [3]
Den Ursachen dieses fortwährenden
Elends – dem organisierten Antiimperialismus als ideologischen
Reproduktions- und Rückzugsort für Antisemitismus und der
Appeasement-Apologetik der selbsternannten „Verbandsmitte“ –
wollen wir als Landesarbeitskreis innerverbandlich die Stirn bieten.
Aufklärung & Schellen: Über
Inhalt und Ziel unseres politischen Wirkens
Wir möchten kein Feigenblatt werden,
welches bei einem Aufschrei für Schadensbegrenzung nützlich ist.
Wir möchten der Furor sein, der diesen Aufschrei bringt. Für uns
ist der vom Erfurter Bundeskongress beschlossene Antrag „Gegen
jeden Antisemitismus“ kein Papiertiger.
Wir wollen Antisemit_innen und ihren
heimlichen Unterstützer_innen ihr Wirken im Verband verunmöglichen.
Denn Antisemitismus lässt sich nicht durch rationale Argumente
zerstreuen, er lässt sich nicht demokratisch umformen, oder durch
Bündnisse und Pakte befrieden.
Die theoretische Auseinandersetzung mit
allen Formen des Antisemitismus und die Intervention in
verbandsinterne und gesellschaftliche Debatten soll darum die
Hauptaufgabe unserer inhaltlichen Arbeit als Landesarbeitskreis
bilden. Gleichsam sehen wir dabei die Notwendigkeit uns ebenso mit
Antiimperialismus, regressiven Antikapitalismus,
Verschwörungsideologien und Islamismus zu beschäftigen, diese zu
kritisieren und hier aufklärerisch tätig zu werden.
Ideologiekritik ist für uns dabei die
Grundlage, um gegen die herrschenden Verhältnisse und ihre
ideologischen Verblendungszusammenhänge vorzugehen. Emanzipation
bedeutet für uns immer für die positive Überwindung der
warenproduzierenden Gesellschaft einzutreten. Das Glücksversprechen
des schönen Lebens für alle fordern wir mit dem Wissen, dass dieses
im Kapitalismus unmöglich ist. [4]
Wir streben nach der Gesellschaft der
Freien und Gleichen und einer Organisation, die sich dem Ringen um
jene zu erreichen verpflichtet sieht. Dieses Ziel ist kein
Tagesprojekt, sondern das noch zu erstreitende Ergebnis einer zähen
und endlos anmutenden – ja: sisyphäischen – Auseinandersetzung.
Lasst uns diesen Fels zum Rollen
bringen!
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[1] Das „Bündnis gegen
Antisemitismus Duisburg“ hat die Vorfälle von Essen in mehreren
Beiträgen unter #antisemessen auf ihrem Blog dokumentiert:
https://bga-duisburg.net/category/antisemessen/
[2] Der Antrag „Gegen jeden
Antisemitismus“:
https://www.linksjugend-solid.de/2015/09/11/gegen-jeden-antisemitismus/
[3] Die „jüdische Allgemeine“
widmete dem Vorfall und der Rolle des Jugendverbandes einen Artikel:
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19683
[4] Rassismus und Sexismus z.B. sind
für uns weder Nebenwidersprüche des Kapitalismus, welche mit der
Beseitigung dessen automatisch verschwinden würden, noch verstehen
wir Diskriminierungen als System von Privilegien und Unterdrückung,
der Forderung folgend, man müsse nur seine eigenen Privilegien
besonders nachgiebig reflektieren, um bestehende Verhältnisse zu
überwinden. Respekt und Verantwortung für das eigene Handeln halten
wir für notwendig, es darf sich das politische Aktionspotential
jedoch nicht darin erschöpfen.