Dienstag, 20. Dezember 2016

Erklärung über unser Wirken als LAK ['sisyphos]


»Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.«
(Albert Camus in: Der Mythos von Sisyphos)


Vom LAK emanzipatorische Kritik zum LAK ['sisyphos]

Der Landesarbeitskreis emanzipatorische Kritik konstituierte sich im Jahr 2013 als Reaktion auf antiimperialistische Unzumutbarkeiten im Jugendverband. Seitdem hat sich zumindest in Thüringen einiges bewegt. Dennoch halten wir ein weiteres Engagement für notwendig. Nach langer Diskussion entschieden wir uns zu einer Revision des alten Grundsatzpapieres und dazu, den Neustart unter einem anderen Namen zu vollziehen.
Fortan trägt der Landesarbeitskreis den Namen ['sisyphos], benannt nach der gleichnamigen Figur aus der griechischen Mythologie. Folgt man der Erzählung Homers, dann war Sisyphos ein die Götter verachtender Frevler, welcher aus diesem Grund gezwungen wurde, einen Felsblock auf ewig einen Berg hinauf zu wälzen. Am Gipfel angekommen, rollt dieser Felsen jedoch jedes mal zurück ins Tal. Sisyphusarbeit ist darum heute noch ein geflügeltes Wort für eine schwere und scheinbar sinnlose Tätigkeit ohne absehbares Ende. Mit diesem Namen mögen wir uns den Vorwurf des Zynismus einhandeln - und das auch nicht zu Unrecht. Dennoch wollen wir klarstellen, dass wir unser Engagement innerhalb des Jugendverbandes keineswegs als sinnlos erachten, wohl aber oft als mühselig und nervenaufreibend wahrnehmen. Um diesen Charakter unserer politischen Arbeit zu verbildlichen, haben wir den Namen Sisyphos gewählt.
Für uns stellt dabei nicht nur das alltägliche Leben im Kapitalismus eine nicht hinnehmbare Zumutung dar, auch das politische Arbeiten in einem Bundesverband, in dem regressives Gedankengut in vielen Köpfen eine Heimat hat, bleibt eine Aufgabe, die als Individuum kaum zu ertragen ist. Deswegen möchten wir nicht vereinzelt bleiben, sondern wollen den Landesarbeitskreis weiterhin als Plattform nutzen um diese regressiven Tendenzen aufzudecken und anzuprangern.

Das ideologische Elend im Bundesverband – eine Bestandsaufnahme

Wenn vom Elend in der politischen Linken die Rede ist, dann meinen wir damit in erster Linie den linken Antisemitismus. Dieser trat in der Vergangenheit primär im antiimperialistischen Flügel des Jugendverbandes auf. Aus unseren Beobachtungen der letzten zwei Jahre, welche wir im Folgenden näher darlegen wollen, leiten wir die These ab, dass der Antiimperialismus für antisemitische Denkmuster augenscheinlich eine ideologische Brutstätte darbietet.

In Folge des „Gaza Krieges“ im Sommer 2014 ereigneten sich eine Reihe antisemitischer Vorfälle, wobei auch unser Jugendverband eine sehr unrühmliche Rolle spielte: Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen – insbesondere von der Linksjugend ['solid] Ruhr – organisierten in Essen eine antiisraelische Kundgebung, auf welcher sich ein antisemitischer Mob formierte und danach unter Rufen wie „Hamas, Hamas – Juden ins Gas“ marodierend durch die Stadt zog. [1] Weder die Veranstalter_innen, welche jegliche Mitschuld an diesen Ausschreitungen bis zum heutigen Tag vehement abstreiten, noch der damalige Bundessprecher_innenrat, der zwar immer Konsequenzen versprach, real aber ein Dreivierteljahr untätig blieb, zeigten sich willens den Vorfall von Essen kritisch aufzuarbeiten. So blieb es an den Mitgliedern des Jugendverbandes selbst etwas zu tun. Auf Initiative der sächsischen Genoss_innen wurde darum auf dem Bundeskongress 2015 in Erfurt der Antrag „Gegen jeden Antisemitismus“ behandelt. Während der Debatte demaskierten sich dabei die antiimperialistischen Teile des Verbandes indem sie auf den weiteren Gebrauch der antisemitischen Mär vom „Apartheidsregime Israel“ insistierten. Daniel Kerekeš – damals Wortführer der mitgliederstärksten Delegation NRW und selbst einer der Organisator_innen der Kundgebung von Essen – betonte noch auf dem Bundeskongress, dass dieser Beschluss für die Praxis in seinem Landesverband keine Auswirkung haben und man sich demzufolge auch nicht an ihn halten werde. Letztlich gelang es jedoch einer knappen Mehrheit der anwesenden Delegierten sich von jeder Art des Antisemitismus zu distanzieren. [2]
Die Euphorie über den Erfolg des Antrages war groß, noch größer war nur die Ernüchterung als deutlich wurde, dass dieser Antrag an der Akzeptanz von Antisemit_innen im Jugendverband nichts geändert hat. Denn solange antiimperialistische Landesverbände wie Nordrhein-Westfalen durch ihre politische Agenda Antisemit_innen einen angenehmen Rückzugsort darbieten, werden diese nicht durch einen vom Bundeskongress beschlossenen Antrag freiwillig den Jugendverband verlassen. Ein entschiedenes Vorgehen gegen Antisemit_innen wurde jedoch aufgrund der Angst vor einer Spaltung aufgegeben. Damit ließen die Verantwortlichen im Jugendverband die Chance, unmissverständlich mit der Persistenz antisemitischer Ressentiments zu brechen, verstreichen und erlaubten gleichzeitig den nach dem Erfurter Bundeskongress angeschlagenen Kräften zu rekurieren.
Auf dem Bundeskongress 2016 traten diese darum wieder deutlich selbstbewusster auf. Während einer spontanen Demonstration durch Nürnberg wurden von diesen Kreisen Parolen wie „Nie wieder Erfurt“ und „Free Palestine“ skandiert. In einer Pause wurde von mutmaßlichen Antiimperialist_innen der antisemitische Gassenhauer „Antideutsche sehen alle scheiße aus“ eingespielt, in welchem der Terror der Hamas mit der Liedzeile „du hast Recht die Hamas hasse ich sehr, doch 'Antideutsche' hasse ich noch mehr“ relativiert wird. Der Initiative einzelner Genoss_innen ist es dabei zu verdanken, dass dieser Vorfall noch vor Ort skandalisiert wurde und nicht unter den Teppich gekehrt werden konnte. Nichtsdestotrotz konnte nicht verhindert werden, dass mit Daniel Kerekeš ein bekennender Gegner des Antrages „Gegen jeden Antisemitismus“ in den aktuellen Bundessprecher_innenrat gewählt wurde.

Die hier nachgezeichneten Entwicklungen infolge der Ereignisse von Essen stellen keineswegs die einzigen Vorfälle in diesem Zeitraum dar. Eine vollständige Auflistung des ideologischen Elends wäre schon ein sisyphäisches Projekt an sich, welches wir an dieser Stelle nicht weiter ausführen wollen. Verwiesen sei hier lediglich noch auf die Übergriffe auf BAK Shalom Aktivist_innen in Wuppertal 2014. [3]
Den Ursachen dieses fortwährenden Elends – dem organisierten Antiimperialismus als ideologischen Reproduktions- und Rückzugsort für Antisemitismus und der Appeasement-Apologetik der selbsternannten „Verbandsmitte“ – wollen wir als Landesarbeitskreis innerverbandlich die Stirn bieten.

Aufklärung & Schellen: Über Inhalt und Ziel unseres politischen Wirkens

Wir möchten kein Feigenblatt werden, welches bei einem Aufschrei für Schadensbegrenzung nützlich ist. Wir möchten der Furor sein, der diesen Aufschrei bringt. Für uns ist der vom Erfurter Bundeskongress beschlossene Antrag „Gegen jeden Antisemitismus“ kein Papiertiger.
Wir wollen Antisemit_innen und ihren heimlichen Unterstützer_innen ihr Wirken im Verband verunmöglichen. Denn Antisemitismus lässt sich nicht durch rationale Argumente zerstreuen, er lässt sich nicht demokratisch umformen, oder durch Bündnisse und Pakte befrieden.
Die theoretische Auseinandersetzung mit allen Formen des Antisemitismus und die Intervention in verbandsinterne und gesellschaftliche Debatten soll darum die Hauptaufgabe unserer inhaltlichen Arbeit als Landesarbeitskreis bilden. Gleichsam sehen wir dabei die Notwendigkeit uns ebenso mit Antiimperialismus, regressiven Antikapitalismus, Verschwörungsideologien und Islamismus zu beschäftigen, diese zu kritisieren und hier aufklärerisch tätig zu werden.

Ideologiekritik ist für uns dabei die Grundlage, um gegen die herrschenden Verhältnisse und ihre ideologischen Verblendungszusammenhänge vorzugehen. Emanzipation bedeutet für uns immer für die positive Überwindung der warenproduzierenden Gesellschaft einzutreten. Das Glücksversprechen des schönen Lebens für alle fordern wir mit dem Wissen, dass dieses im Kapitalismus unmöglich ist. [4]

Wir streben nach der Gesellschaft der Freien und Gleichen und einer Organisation, die sich dem Ringen um jene zu erreichen verpflichtet sieht. Dieses Ziel ist kein Tagesprojekt, sondern das noch zu erstreitende Ergebnis einer zähen und endlos anmutenden – ja: sisyphäischen – Auseinandersetzung.

Lasst uns diesen Fels zum Rollen bringen!

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[1] Das „Bündnis gegen Antisemitismus Duisburg“ hat die Vorfälle von Essen in mehreren Beiträgen unter #antisemessen auf ihrem Blog dokumentiert: https://bga-duisburg.net/category/antisemessen/

[2] Der Antrag „Gegen jeden Antisemitismus“: https://www.linksjugend-solid.de/2015/09/11/gegen-jeden-antisemitismus/

[3] Die „jüdische Allgemeine“ widmete dem Vorfall und der Rolle des Jugendverbandes einen Artikel: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19683

[4] Rassismus und Sexismus z.B. sind für uns weder Nebenwidersprüche des Kapitalismus, welche mit der Beseitigung dessen automatisch verschwinden würden, noch verstehen wir Diskriminierungen als System von Privilegien und Unterdrückung, der Forderung folgend, man müsse nur seine eigenen Privilegien besonders nachgiebig reflektieren, um bestehende Verhältnisse zu überwinden. Respekt und Verantwortung für das eigene Handeln halten wir für notwendig, es darf sich das politische Aktionspotential jedoch nicht darin erschöpfen.