Mittwoch, 25. Januar 2017

Vollständige Erklärung: "Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem!"

Nach der Beschlusslage desBundeskongresses 2015 sollte der Kampf gegen jeden Antisemitismus eigentlich eine Grundposition der Linksjugend sein. Das der Landesverband Thüringen das heute nochmal bekräftigt ist darum eigentlich unerheblich, wenn doch natürlich trotzdem auch begrüßenswert.
Was uns jedoch unsagbar fassungslos macht ist die Entkontextualisierung dieser Positionierung durch den aktuellen Landessprecher_innenrat. Gegen jeden Antisemitismus zu sein heißt für uns auch gegen jedes Appeasement mit Antisemit_innen zu sein!
Deswegen dokumentieren wir an dieser Stelle die, vom LSPR leider unveröffentlichte, Originalversion der Erklärung:

"Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem! Die Ideologie, die sich von der Verachtung gegen „die da oben“ bis hin zum Verlangen nach der Vernichtung aller Juden und Jüdinnen erstreckt, hat zu einem Verbrechen geführt, das hoffentlich nie ein zweites seiner Art erfährt. Als Jugendverband haben wir uns verpflichtet uns gegen jede Form des Antisemitismus zu stellen und werden ihn konsequent bei uns und anderen anprangern.
Ein anderes Problem liegt in der allgemeinen Diskussionskultur. Menschlich vollkommen unverständlich erscheinen uns die überhandnehmenden Beleidigungen und der konsequente Verzicht darauf Verantwortung für Scheiße zu übernehmen.
Es gibt in der Linksjugend [solid] einen Verband, der leider sinnbildlich für diese Entwicklung steht, was für uns als Landesverband geradezu unerträglich ist.

In dem Konflikt zwischen der Linksjugend ['solid] NRW und Jutta Ditfurth wollen wir auf einen besonderen Vorteil politischer Jugendverbände hinweisen:
Sich glaubhaft zu entschuldigen und anschließend ein halbes Jahr zurückzuziehen um den eigenen Aktivismus und die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen wird als Stärke gesehen und kann etwas aus der Welt schaffen. Dieses Privileg kommt so schnell nicht wieder! Es gibt Fehler, die sind unentschuldbar – und doch ist etwas aus ihnen zu lernen eine Tugend, die zu Recht große Anerkennung erfährt.
Was in keiner Weise unkommentiert stehen gelassen werden kann, ist eine scheinheilige Distanzierung die vollkommen folgenlos bleiben wird und die blanke Aussage, es gäbe keinen Antisemitismus im Landesverband NRW. Ein kritischer Blick auf sich selbst ist eine grundlegende Voraussetzung sowohl für den Anspruch glaubhaft zu sein, als auch für den Anspruch Emanzipation voran zu treiben."

Samstag, 21. Januar 2017

Mit Denkmälern gegen die Barbarei?

Mit seiner Brandrede in einem Dresdner Brauhaus erregt Björn Höcke momentan die Gemüter in der Republik. Der faschistische Agitator aus Thüringen nutzt seine Redezeit, um mit der Politik und Gesellschaft in der Bundesrepublik abzurechnen. Dem autoritären Mob gefällt es. Nur mit Mühe gelingt es der Masse, ruhig zu bleiben und regelmäßig blökt sie dumpfe Parolen - "Merkel muss weg", "Volksverräter", "ausmisten" und nicht zu vergessen: "Wir sind das Volk".
 Es gibt viele Punkte aus der Rede, die man für eine Kritik aufgreifen könnte - ja müsste. Bedauerlich finden wir, dass der LSPR der Linksjugend ['solid] Thüringen nicht die Pressemitteilung der Linksjugend Jena verwenden wollte und sich davor gescheut hat, sowohl Höcke einen Nazi zu nennen, als auch seine Zuhörerschaft als das zu charakterisieren was sie waren, nämlich Pöbel.[1] Dass sich der LSPR nur darauf verständigen konnte, ein Sharepic, mit der Beschriftung "Wenn Björn Höcke (AfD) die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost, Geschichtsverfälschung betreibt und 'Deutschland Stück für Stück zurückholen' will und alle jubeln, zeigt das deutlich: ES GIBT NOCH NICHT GENUG HOLOCAUST-MAHNMALE"[2], zu teilen, finden wir schade, zumal wir den Spruch auch mehr als kritisch sehen.
Das Sharepic des Landesverbandes.
Denn hier schwingt die irrsinnige Annahme mit, mit Denkmälern alleine könne man etwas gegen die, in der warenproduzierenden postnazistischen Gesellschaft omnipräsente, Gefahr des wiederaufkommenden Faschismus bewirken. Den Verantwortlichen wäre wohl die Lektüre des kurzen Textes "Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?" des Philosophen und kritischen Theoretikers Theodor W. Adorno zu empfehlen. Dieser verweist auf "demokratische Pädagogik"[3], welche, in Kombination mit psychoanalytischen Methoden, Aufklärung über das Geschehene am besten vermitteln könnte.[4]
Das bloße Denk- oder Mahnmal kann dieser Aufklärung über die Shoah nur unzureichend gerecht werden und das aktuelle Kunstprojekt #YOLOCAUST führt dies derzeit recht deutlich vor Augen.[5] So ein Umgang mit dem Gedenkort ist dabei keineswegs neu, sondern knüpft an die Aussage des Altkanzlers Gerhard Schröder über das Stelenfeld, als einen Ort den man „gern mal besucht“[6], an. Wie unbekümmert man in Deutschland mit der Vergangenheit umgeht, zeigt sich auch, wenn Historiker, wie Eberhard Jäckel, in Festreden über den Sinn des Berliner Shoah-Denkmales sinnieren, dass "wir" in anderen europäischen Ländern um dieses Denkmal beneidet werden würden und "wir" dank diesem nun wieder aufrecht gehen könnten.[7] Dank dem Berliner Shoah-Mahnmal kann man also wieder stolz sein auf Deutschland und seinen Umgang mit der Vergangenheit: Bravo! In guter deutscher Manier lassen sich jetzt auch wieder all diejenigen mit erhobenen Zeigefinger zurechtweisen, die aus der Vergangenheit nicht so viel gelernt hätten wie die "anständigen Deutschen". Beliebtes Ziel der deutschen Besserwisserei ist dabei natürlich immer der Staat der Shoah-Überlebenden - Israel.
Wie man hoffentlich verstanden hat, ist das Shoah-Mahnmal in Berlin ein denkbar schlechtes Beispiel, wenn man kritisieren möchte, dass "Deutschland Stück für Stück" zurück geholt wird. Vielmehr muss man feststellen: Deutschland war nie weg. Statt mehr Mahnmale zu verlangen, wäre es darum sinnvoller zu fordern: "[Alles] Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe."[8]


[1] – Pressemitteilung der Linksjugend Jena: https://www.facebook.com/LinksjugendJena/posts/941135096023881 ; zuletzt überprüft am 21.01.2017.
[3] – Adorno, Theodor: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? In: ders.: Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt/ Main 2015. S. 24.
[4] – ebd. S. 27.
[5] – siehe die Internetpräsenz des Projektes: http://yolocaust.de/ ; zuletzt überprüft am 21.01.2017.
[6] – zitiert nach: Feddersen, Jan: Die Erinnerungslücken bleiben. in: taz, 10.05.2006. online: http://www.taz.de/!434761/ ; zuletzt überprüft am 21.01.2017.
[7] – zitiert nach: Entweder Broder – Die Deutschland-Safari. Folge 2: Von Allah bis Osama, Minute 05:18.
[8] – Adorno, Theodor: Negative Dialektik. Frankfurt/ Main 2000. S. 358.