Sonntag, 13. März 2022

Der Krieg in der Ukraine und die antiimperialistische Linke

Eine Bestandsaufnahme.

Spätestens mit dem Untergang Afghanistans vor der untätigen Weltöffentlichkeit scheint die Zeit der starken Männer und Autokraten (wieder) angebrochen zu sein. Diese wähnen sich in der Sicherheit, von einem passiven Westen unberührt, tun und lassen zu können was sie möchten. Die Abkehr vom Interventionismus führte, anders als jahrelang gepredigt, nicht zu einem Zustand des gegenseitigen Einverständnisses in weltfriedensbewegter Eintracht. Ganz im Gegenteil: Allen Bemühungen um Passivität zum Trotz - Es herrscht Krieg in Europa

Vor wenigen Wochen überfielen, unter dem Vorwand angeblicher Bedrohung durch den Westen, russische Truppen die Ukraine. Zweifelsohne wird dieses schreckliche Ereignis in die Geschichtsbücher eingehen. Doch während Anhänger fast sämtlicher politischer Lager voller Schrecken die Nachrichten verfolgen und Wladimir Putins Allmachtsfantasien mit einer klaren Haltung begegnen (nämlich absoluter Verurteilung), scheint das Blutvergießen in Teilen der deutschen Linken für zunehmende Verwirrung zu sorgen. Denn jene, welche sonst klar die Welt in „Gut“ und „Böse“ zu unterteilen wissen, geraten in Anbetracht der zutiefst verängstigenden Bilder zunehmend in Erklärungsnot. „Gut“ - das war doch bis dato immer „der Osten“, während „der Westen“ stets das Böse verkörperte. Es ist ein altbekanntes Problem innerhalb der politischen Linken: Unfähig sich in den aktuellen Zeitgeist und das politische Geschehen hineinzudenken, scheint man im Kalten Krieg steckengeblieben zu sein und zu verdrängen, dass der Ostblock in dieser Form nicht mehr existiert. Doch plötzlich, so mutet es an, werden die eigenen etablierten Welterklärungsmodelle in Frage gestellt, muss der eigenen, scheinbaren moralischen Überlegenheit mit Demut begegnet werden. Eine Chance das eigene Denken zu reflektieren und festgefahrene Argumentationsmuster aufzubrechen - könnte man meinen. 

Nicht aber in der antiimperialistischen Linken: In den letzten Tagen ließen sich, so fern man es sich selbst zumuten konnte, etwaige innerlinke Debatten zu verfolgen, die üblichen geistigen Ergüsse jener selbsternannten Revolutionäre vernehmen. Wobei „üblich“ hier wohl das falsche Wort ist, in Anbetracht dessen, dass die „progressiven Kräfte“ sich derzeit einen Wettstreit darin zu liefern scheinen, wer gerade die engstirnigste und ideologisch am meisten verblendete Einordnung der Geschehnisse zum Besten geben kann. Dabei stechen zwei bis dato bekannte Reaktionen hervor: Die eine, die zum Antimilitarismus aufruft und die andere, die nun wirklich allen offensichtlichen Fakten zum Trotz versucht, die brutalen Übergriffe Russlands mithilfe angeblich genauso verheerender Verbrechen der Nato zu relativieren. Zu erwähnen sei hier am Rande noch eine weitere dritte Position, in welcher davon ausgegangen wird, Russland habe sich entsprechend der Staatspropaganda wirklich nur gegen die Übergriffe des Westens zur Wehr gesetzt und sei keinesfalls als imperialistischer Staat zu betrachten. Diese Position kann aber getrost außen vor gelassen werden, da kein Mensch, der auch nur einen Funken an Selbstachtung oder das Bedürfnis der eigenen körperlichen Unversehrtheit verspürt, sich noch trauen würde, diese Position öffentlich einzunehmen (was nicht bedeutet, dass Ausnahmen nicht auch hier die Regel bestätigen, siehe den social media Auftritt der DKP).

Die erste Position, der Antimilitarismus, ist nicht zuletzt als zunehmende Entfremdung der (westlichen) Linken vom Marxismus zu verstehen. Verwunderlich scheint es, dass ausgerechnet jene, die sich selbst als orthodoxe Marxisten verstehen in derartigen Szenarien nichts von Marx wissen wollen. "Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift." heißt es in seiner Kritik zur Hegelschen Rechtsphilosophie (zu lesen im MEW Band 1 auf Seite 385). Dass das von Mitgliedern der Linkspartei und ihrer Anhängerschaft gebetsmühlenartig wiederholte Mantra „Waffen schaffen keinen Frieden“ schlichtweg nicht der Wahrheit entspricht, denn spätestens nach 1945 sollte klar sein dass Waffen – in diesem Fall in den Händen alliierter Soldaten – sehr wohl Frieden in Europa geschaffen haben, wird dabei gekonnt ausgeblendet. Geradezu verblüffend wirkt der geistige Spagat dieser Antimilitaristen: Während man sich selbst als Schützer der Unterdrückten und Marginalisierten sieht, möchte man dieselben im Ernstfall lieber doch nicht verteidigen. Wohlwollend kann diese Haltung auch damit erklärt werden, dass diese Position meist von Angehörigen der Nachkriegsgeneration vertreten wird, welche dadurch versucht dem eigenen sekundären Trauma zu begegnen. 

Viel perfider wirkt das zweite antiimperialistische Erklärungsmodell, nämlich das der Relativierung des russischen Überfalls. Vorbei sind längst die Zeiten, in denen sich Linke daran orientierten, was der Arbeiterklasse im Konkreten besonders von Nutzen ist. Vielleicht scheint es auch zu viel verlangt, schließlich ginge es damit einher, sich eingestehen zu müssen, dass die Arbeiterklasse im parlamentarischen Kapitalismus immer noch besser dran wäre als im kapitalistischen Totalitarismus. Daraus lässt sich eine, wenn auch harte, Vermutung ableiten: Der neuen antiimperialistischen Linken ging es nie wirklich um die Befreiung der Arbeiterklasse, sondern um die Befriedigung eigener narzisstischer Bedürfnisse. Die psychische Abwehr der Einsicht, dass die eigenen Annahmen falsch sein könnten, lässt sie in zunehmendem Wahnsinn versinken. So wird der russischen Linken, welche für ihre Proteste gegen den Krieg das eigene Leben aufs Spiel setzt, die Wahrnehmung der eigenen Lebensrealität abgesprochen. Deutlich wird diese perfide Weltsicht, in der Souveränität und Selbstbestimmung der Menschen nur dann verteidigt werden darf, wenn sie der eigenen Sache dienen, wenn man eben jene Antiimperialisten auf ihr liebstes revolutionäres Subjekt anspricht: die Palästinenser. Auf die Frage hin, warum denn der Wunsch der Souveränität der einen (der Palästinenser) legitim sei und der anderen (der Ukrainer) nicht, müsste man folgende ehrliche Antwort erhalten: Die Palästinenser verachten die NATO und den Westen, die Ukrainer wenden sich ihnen zu. Nur diejenigen, die den Westen hassen, haben es verdient frei zu sein – alle anderen haben sich zu unterwerfen.

In einem Kundgebungsaufruf, welche die Linksjugend ['solid] Nordberlin gemeinsam mit den Gruppen young struggle Berlin und der SDAJ vor wenigen Tagen veröffentlichte, wird einem diese Verklärung beispielhaft vor Augen geführt:  Zwar betont man zu Beginn des Aufrufs, dass der militärische Angriff von russischer Seite erfolgte, relativiert diese Feststellung jedoch sofort im nächsten Satz: "Diesem Krieg ging eine jahrelange Eskalation durch die NATO Osterweiterung, Russlands imperialistische Ambitionen und einem vom Westen angeheizten Bürgerkrieg voraus." (Zitat Instagrampost der Linksjugend ['solid] Nordberlin vom 28.02.22) Zwar wird widerwillig darauf verwiesen, dass auch Russland imperialistische Ambitionen hege, jedoch müssen diese sofort mit angeblicher Provokation durch den Westen gerechtfertigt werden. Dass die letzten Nachbarländer Russlands (nämlich Estland, Lettland und Litauen) vor beinahe zwanzig Jahren der NATO beigetreten sind, wird dabei vollkommen ignoriert. Dass die Drohung Atomwaffen in diesem Krieg einzusetzen ausschließlich von Putins Seite zu vernehmen war, wird von jenen Antiimperialisten gekonnt ausgeblendet. Der von Russland geführte Krieg gegen Georgien, der unter ähnlichen Vorzeichen (Verhinderung des NATO-Beitritts, Unterstützung russlandtreuer Separatisten) wie gegen die Ukraine begonnen wurde, scheint ebenso wenig erwähnungswürdig wie die Kriegsverbrechen durch Putins Armee in Syrien, wo sich eine Ähnlichkeit im militärischen Vorgehen (Einkesselung und Massenbombardement von Städten, Verletzung von Waffenruhen zur systematischen Zermürbung der Bevölkerung) abzeichnet. Gleichzeitig lehnen die Verfasser des Aufrufs sämtliche Sanktionen gegen den russischen Staat ab. Die darauf folgende Behauptung, westliche Konzerne würden von russischen Sanktionen wirtschaftlich profitieren lässt dabei einige Fragen offen. Es kann vermutet werden, dass die Autoren dieses Aufrufs von den bis zuletzt vehement verteidigten deutschen Wirtschaftsinteressen und damit einhergehenden Bündnissen mit Russland nichts mitbekommen haben. Auch das wirtschaftliche Interesse russischer Oligarchen an der Ukraine scheint in den Augen der selbsternannten Friedensstifter von geringer Bedeutung zu sein. Im gleichen Zug wird ignoriert, dass die von der linksjugend ['solid] Nordberlin geforderten Friedensverhandlungen bis jetzt ohne jedes Ergebnis endeten. Diese Faktenresistenz ist beispielhaft für eine antiimperialistische Linke, deren Mitglieder trotz ihres jungen Alters in ihrer Analyse der aktuellen Zustände in den 80er Jahren verblieben sind. 

Noch nie haben selbsternannte Antiimperialisten ihre Menschenverachtung so offen zur Schau gestellt. Es ist höchste Zeit, diese Kräfte als das zu entlarven was sie sind: Eine Gefahr für die Gesellschaft der Freien und Gleichen. Nicht zuletzt aus diesem Grund, gehören derartige Strömungen endgültig aus der politischen Linken verbannt. Unsere Solidarität gilt den Kämpfenden in der Ukraine, welche sich in diesen Tagen mutig dem Angriff Russlands entgegenstellen sowie den Demonstrierenden in Russland, welche sich gegen die russische Herrschaft stellen!

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