Dienstag, 27. September 2022

Ein bisschen Wind im Haar bedeutet, dass da eine ganze Welt zu gewinnen ist.

Rede auf der Solidaritätskundgebung in Jena für Jina Amini und den Protesten im Iran am 27.09.2022

 

Einen Monat vor der Verhaftung und des Todes von Jina Amini veröffentlichte die in Beirut lebende TAZ-Korrespondentin Julia Neumann in selbiger Zeitung einen saublöden Kommentar zum Thema Frauenrechte im Nahen Osten. Er hieß “Das bisschen Wind im Haar” und die Autorin befand darin, dass die Anti-Kopftuch-Proteste von Exil-Iranerinnen ein Ausdruck westlicher Ideologie seien. Aus besagtem Idiotenartikel möchten wir euch, bevor es zum eigentlichen Thema des Redebeitrages zurückgeht, ein paar Takte zitieren, weil sie eine Geisteshaltung illustrieren, die zum Thema Islam – leider – überall in Deutschland irgendwo so oder so ähnlich von irgendeinem Trottel als Meinung vertreten wird. Die meisten schreiben nur nicht für die TAZ. Frau Neumann schreibt also u.a.: "Die Vorstellung des Kopftuchs als Gradmesser von Freiheit wurde vom Westen erst populär gemacht. Und sie ist verdammt gefährlich. [...] Klar, dass auch konservative, rechte Medien auf den Diskurs aufspringen. Schaut, wie die Mullahs ihre Frauen unterdrücken! Dabei lassen sie gerne unerwähnt, dass auch Männer einem Kleidungszwang im Iran unterlegen sind: Auch sie sollen ihre Knie und Schultern verdecken."

Verdammt gefährlich – das ist es wohl aktuell vor allem für die mutigen protestierenden Menschen im Iran. Seit dem Mord an der 22-jährigen Jina Amini, steht die Islamische Republik Kopf. Amini war von der Moralpolizei wegen “Bad Hijab” verhaftet worden. Sie starb an den Folgen der Prügel im Zuge der Verhaftung. Amini wurde wohlgemerkt zu Tode geschlagen, weil ihr Kopftuch nicht richtig saß, nicht etwa, weil es fehlte. Wie viele Männer im Iran bereits wegen eines entblößten Knies ermordet wurden, wird hingegen wohl erst noch durch die Recherchearbeit einer Frau Neumann herauszufinden sein. 

 

Seit dem Tod von Jina Amini toben in der gesamten Islamischen Republik wütende Proteste. Wir sind heute hier, weil wir an die mutigen Menschen im Iran denken, die seit Tagen gegen das islamische Regime auf die Straße gegangen sind und weil wir wollen, dass kultursensible Idioten wie Frau Neumann und andere, die seit Jahren nicht müde werden die islamische Verschleierung und das hinter ihr stehende islamische Frauenbild zu verharmlosen, sich schämen.

Denn während in Deutschland allgemein hinter der Kritik am Kopftuch mindestens von den hiesigen Linksliberalen böser islamfeindlicher Rassismus gewittert wird, reißen sich seit Tagen mutige Iranerinnen auf den Straßen des ganzen Landes ihre Kopftücher runter und zünden diese nicht selten an. In Deutschland ist einem das Kopftuch dagegen ein liebgewonnenes Antirassismus- und Diversity-Symbol geworden, so ziert es nicht umsonst um die genannte Signalwirkung bemüht unter anderem bis heute das Logo des Thüringer Frauen*kampftagsbündnisses. Doch das ist nicht mehr als eine Fußnote. Wir vom Landesarbeitskreis Sisyphos möchten den traurigen Anlass des Todes von Jina Amini nutzen um – erneut – über das stoffgewordene Frauengefängnis zu reden: Das islamische Kopftuch und über seine Funktion und Legitimierung. Deshalb werden wir mit einem kurzen Exkurs zur islamischen Geschlechterapartheid beginnen.

 

Die zentrale Botschaft des Islams geht von einer Welt aus, die allein aus Männern besteht. Diese Aussage - so richtig sie ist - kommt nicht von uns, sondern sie bildet die Schlussfolgerung, zu welcher die marokkanische Feministin Fatima Mernissi in ihrer Untersuchung des Geschlechterverhältnisses im Islam kommt. Ihr Buch „Geschlecht, Ideologie, Islam“ sollte jeder gelesen haben, der meint zum Thema etwas beitragen zu müssen. Frauen stehen dabei Mernissis Analyse zufolge im Islam nicht nur außerhalb der Menschheit, sondern werden zudem mit Argwohn betrachtet, sodass jede Form von weiblicher Selbstbestimmung rigoros unterdrückt werden muss. 

Entgegen der landläufigen Auffassung ist das Verhältnis des Islams zur Sexualität - des Mannes (!) - kein restriktives. Zumindest nicht, solange es sich innerhalb der religiösen Vorschriften – d.h. kein außerehelicher Verkehr und kein homosexueller Verkehr – bewegt. Die Sexualität soll vielmehr in den Dienst der Ordnung treten. Weibliche Sexualität wird dafür jedoch als unwiderstehlich und zerstörerisch fantasiert. Daraus folgt Angst, denn die Gottesfürchtigkeit des Mannes, dessen Lebensziel zuerst dem Dienst an Allah gewidmet sein soll, wird durch ihre bloße Gegenwart auf die Probe gestellt. Ihrer teuflischen Anziehungskraft vermag er nicht zu widerstehen. Durch sie lässt sich der Mann quasi automatisch zu zina (den illegitimen – außerehelichen – sexuellen Verkehr) hinreißen und damit vom Pfad Allahs abbringen. Sie bedroht damit die islamische Ordnung. Es kommt zu fitna (Unordnung/ Chaos). Da nicht die Sexualität an sich, sondern nur die ausgelebte weibliche Sexualität dieses Chaos verursachen kann, bekämpft der Islam konsequenterweise die Frau und attackiert sie sowohl als Verkörperung, wie auch als Symbol der Unordnung.

 

Im Islam fehlt zudem die Vorstellung, dass das Individuum aus einem rationalen Eigeninteresse selbst "innerlich" über seine Triebe bestimmen und diese kontrollieren kann. Dadurch wird es nötig diese Schutz- und Kontrollfunktionen „äußerlich“, d.h. durch Familie, Community und Staat, zu organisieren. Der islamische Schleier ist dabei ein zentrales Mittel, um diese äußerliche Triebregulation gewährleisten zu können: Sinn und Zweck der Verschleierung sind im Schutz der Gemeinschaft durch Abgrenzung von den zerstörerischen Einflüssen zu finden. Diese Abgrenzung äußert sich auf drei Wegen: 

Die erste Trennung verläuft zwischen den Geschlechtern – ist also die Trennung zwischen Mann und Frau – Verbunden mit der Zuordnung von den Sphären Öffentlichkeit (Männer) und Privatheit (Frauen). Doch auch eine private Sphäre kann jederzeit öffentlich werden, nämlich immer dann, wenn ein männlicher Besucher das Haus der Frau betritt. Daher steht der Schleier für eine systematische räumliche Verdrängung der Frau. Der Koran legt ihnen nahe sich nur mit hängenden Schultern, niedergeschlagene Augen und ohne sichtbaren Schmuck außerhalb des Hauses zu bewegen (24:31). Gemeint sind hier neben materiellen Schmuck auch der körperliche – also die sekundären Geschlechtsmerkmale, die man weder sehen noch erahnen darf, weshalb die Verhüllung mit einem weiten Gewand – unter dem sämtliche Erhebungen des Körpers verschwinden – notwendig wird. Durch den Schleier jeglicher Individualität beraubt, erscheinen Frauen in der islamischen Öffentlichkeit daher als uniforme Gespenstergestalten, die idealerweise weder visuelle noch akustische Aufmerksamkeit erregen. 

Der Schleier reduziert ferner Frauen auf ihr Geschlecht und markiert sie als Sexualobjekt. Er macht sie entweder zu dem „Besitz“ eines Mannes, den anzuschauen oder gar zu berühren sündhaft wäre, oder aber er zeigt an, dass sie dem "Heiratsmarkt" zur Verfügung steht, wo ihre Tugend- und Schamhaftigkeit und besonders die Jungfräulichkeit ihren "Handelswert" bestimmt. Daher verläuft die zweite Trennung, die vom Schleier vollzogen wird, innerislamisch zwischen den guten, keuschen – d.h. verschleierten - Musliminnen und den in Sünde lebenden – schleierlosen - Frauen. Eine gängige Trope innerhalb muslimischer Communities ist der Mythos einer Vergewaltigung, wenn die Frau sich zuvor nicht oder nicht ausreichend verschleiert hat.  

Die dritte und letzte ist die kulturelle Trennung. Sie grenzt die islamische Gemeinschaft von der Gemeinschaft der „Ungläubigen“ ab und verdeutlicht gleichzeitig ihre Verachtung gegen selbe.

 

Am Ende ist der Schleier im Islam aber vor allem eines: Ein Unterdrückungswerkzeug des islamischen Patriarchats, der, wie es bei der Exiliranerin Chahdortt Djavann heißt, unauslöschbare Spuren in der Psyche, der Sexualität und der sozialen Identität derjenigen hinterlässt, denen er ab der Pubertät aufgezwungen wird.

 

Fatima Mernissi kommt in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Organisation allen gesellschaftlichen Lebens im Islam gleichermaßen sowohl als Angriff wie auch als Schutz vor der als destruktiv imaginierten Macht der weiblichen Sexualität betrachtet werden muss. Die Stellung der Frau in den islamischen Gemeinschaften entspricht heute mittelalterlichen Verhältnissen. Ihre Rechte – vor allem aber ihre Pflichten – beruhen hauptsächlich auf den Suren des Korans, im Weiteren noch auf den Aussprüchen des Propheten, den Hadithen und den Gesetzestexten der Scharia. Im Koran heißt es unteranderem: „Die Männer sind den Weibern überlegen [...]. Die rechtschaffenen Frauen sind gehorsam und sorgsam in der Abwesenheit (ihrer Gatten) [...]. Diejenigen aber, für deren Widerspenstigkeit ihr fürchtet – warnet sie, verbannet sie in die Schlafgemächer und schlagt sie. Und so sie euch gehorchen, so suchet keinen Weg wider sie; siehe Allah ist hoch und groß.“ (Sure 4:34) - Wohlgemerkt: allein die Befürchtung über die Widerspenstigkeit rechtfertigt hier den Einsatz von Gewalt. 

 

Widerspenstig - das war Jina Amini- und das sind alle Frauen, die seit Bestehen der Mullah-Diktatur gegen diese aufbegehrten und dabei ihr Leben ließen. Die Schläge, die letztlich Jinas Leben ein Ende setzten, sind daher mit dem konform, was Allah in seiner universellen Botschaft an die Menschheit gesendet haben will. Nur ist es eben nicht konform mit jeder anderen Moral oder auch nur der menschlichen Urteilskraft an sich. 

Jina starb wegen "ein bisschen Wind im Haar". Die Entrüstung und die Proteste wegen ihres viel zu frühen Todes bleiben jedenfalls hoffentlich keine kurze Brise, sondern entwickeln sich rasch zu einem starken Sturm, der über die islamische Republik hinwegfegen mag und der die Mullahs und ihren Islamscheiß vom Angesicht dieser Welt verschwinden lässt. 

Für Jina!

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