Liebe
Genossinnen und Genossen,
wie
viele von Euch sicherlich schon gehört haben, hat das 33.
Landesjugendtreffen die Auflösung unseres Landesarbeitskreises
beschlossen. Auch wenn wir gegen diese Entscheidung Widerspruch
einlegen werden, endet damit bis zur Entscheidung der
Schiedskommission vorläufig unsere Arbeit. Höchste Zeit also ein
kleines Resümee über unser Wirken zu verfassen.
Fangen
wir ganz von vorne an... Der Landesarbeitskreis bildete sich im
Dezember 2016 aus den Überresten einer alten Vorgängerstruktur.
Zeitlich fiel unsere Gründung mit verschiedenen, uns politisch stark prägenden,
Ereignissen zusammen.
Nach
der anfänglichen Empörung über die Pro-Palästina-Demonstration
2014 in Essen, deren Teilnehmer bundesweite Schlagzeilen durch
antisemitische Ausschreitungen machten, beschloss der Bundeskongress
2015 seine erste Positionierung gegen Antisemitismus. Die
tatsächlichen konkreten Konsequenzen, welche auch wir uns mit diesem
Beschluss erhofft hätten, blieben jedoch aus. Vielmehr zeigte sich
schon bald, dass die Verbandsmitte im Zweifel nicht für
Antisemitismus sensibilisiert war: Bereits 2016 wählte der
Bundeskongress mit Daniel Kerekeš einen der Organisatoren von Essen
in den Verbandsvorstand. Skandal? – Fehlanzeige. Die Zentristen
erhofften sich von seiner Wahl den mitgliederstarken, sich selbst als
antiimperialistisch bezeichnenden, LV NRW besser in den Verband
einbinden zu können und offenbarten damit, wie ernst es ihnen tatsächlich
mit „Gegen jeden Antisemitismus“ war. Die Inaktivität des BAK
Shalom tat ihr übriges dazu bei, dass ein entschiedener Aufschrei
aus dem Verband über diese katastrophale Personalentscheidung
ausblieb.
Im
Zuge der islamistischen Attacken auf die Satirezeitschrift Charlie
Hebdo und dem pro-zionistischen Nachtclub Bataclan im Jahre 2015
wurde für uns zudem immer deutlicher, dass die Kritik am politischen
Islam ein blinder Fleck der Linken war. Doch mehr noch: Kritik am
Islam war explizit unerwünscht. Eine Initiative aus Sachsen-Anhalt
auf dem Bundeskongress 2017 eine Positionierung gegen Islamismus zu
erreichen wurde von der Verbandsmitte mit aller Kraft blockiert. Es
war schließlich ein durch uns erstellter und gemeinsam mit dem –
auch durch unseren Einsatz reaktivierten – BAK Shalom eingebrachter
Antrag, welcher im Folgejahr eine knappe Mehrheit auf dem
Bundeskongress fand und die erste und einzige Beschlusslage zu
Islamismus bildet. In diesem heißt es unter anderem: „Die
Linksjugend spricht sich gegen den Versuch aus, jede Kritik am
politischen Islam pauschal als Rassismus zu brandmarken.“
In
den Jahren seit unserer Gründung 2016 haben wir neben dieser auch
weitere wichtige Verbandspositionen erstritten. Erwähnen wollen wir
die Positionierung zur Islamischen Republik Iran (BuKo 2019) und
gegen das islamische Kopftuch (LJT 2017). Wir hielten Vorträge zur
Einführung in eine linke Islamkritik in mehreren Städten, u.a. in
Jena, Halle, Leipzig, Magdeburg und Oldenburg. Wir organisierten
selbst Veranstaltungen, unter anderem eine große Vortragsreihe 2019
zu 40 Jahren islamische Republik Iran. Darüber hinaus waren unsere
Mitglieder Referenten bei verschiedenen Verbandsveranstaltungen, zum
Beispiel über Feminismus, Geschichte der Antifa und zur Einführung
in marxistische Gesellschaftskritik. Einen Großteil unserer Arbeit
bildete stets das Schreiben von Texten und das Kommentieren aktueller
politischer Ereignisse zu unserem Hauptbeschäftigungsfeld – der
Kritik des politischen Islams. Darum waren wir in der Vergangenheit
auch schon oft das Ziel von verbalen Attacken, Drohungen und
autoritärer Auflösungsfantasien. Mit der letzten hat man nun (fürs
Erste) Erfolg gehabt.
Wie
konnte es dazu kommen? Über die Gründe, welche zur Annahme des
Auflösungsantrages führten, können wir letztlich nur spekulieren.
Der Antrag überraschte uns selbst wenige Tage vor der
Mitgliederversammlung. Eine Chance darauf zu reagieren war weder
gegeben noch durch die Antragsteller angedacht. Andere Termine
hinderten uns zudem an der Teilnahme, weshalb auch die Debatte über
unsere Auflösung komplett in unserer Abwesenheit durchgeführt
wurde. Wir hatten es ehrlich nie in Betracht gezogen, dass dieses
Verfahren in so einer Form durchgeführt werden könnte und sind uns
sicher, dass dies noch vor wenigen Jahren im Jugendverband auch nicht
möglich gewesen wäre. Unter Genossen finden wir diesen Umgang
schlicht inakzeptabel.
Gleichzeitig
müssen wir uns fragen wie es passieren konnte, dass eine
Zweidrittelmehrheit einen Antrag angenommen hat, dessen Mangel an
argumentativer Stärke nur noch durch seinen schlechten sprachlichen
Stil geschlagen wird. Ohne Frage hat die Covid-19-Pandemie zu einem
Knick in unserer Aktivität in den Verband hinein geführt. Seit dem
ersten Lockdownjahr hat der LAK kaum Veranstaltungen mehr
durchgeführt und sein Engagement innerhalb des Landesverbandes
zurückgefahren, was sich rückblickend wohl als Fehler erwiesen hat.
Anders lässt sich nicht erklären wieso selbst in unserer
politischen Heimat Stimmen derart die Oberhand gewinnen konnten,
welche in der Ablehnung einer Weltanschauung verrückterweise meinen
Rassismus zu wittern.
Abgesehen
von diesem nachzuholenden Versäumnis, einigen unerledigten Projekten
und der Zuversicht mit einem Widerspruch erfolgreich zu sein, sehen
wir uns momentan an einem Scheideweg: Braucht
es Sisyphos im Jugendverband eigentlich noch?
Es
gibt gute Gründe welche trotz alledem für eine Bejahung dieser
Frage sprechen: Der Antisemitismus-Beschluss von 2015 steht derzeit
massiv unter Beschuss. Erst kürzlich beschloss der Landesverband
Berlin einen Antrag, welcher ganz explizit als Angriff auf die
Beschlusslage – und als antisemitisch – aufzufassen ist. Auch
Personen aus dem Marx21 Umfeld arbeiten seit längerem schon an einer
Abschaffung der bestehenden Position. Gleichzeitig hat die Verbandsmitte
seit Jahren eine Debatte zur Klärung verschleppt, sodass auch ein
von uns mitverfasster Antrag, welcher den Beschluss inhaltlich
nachschärfen wollte und Konsequenzen für antisemitisches Handeln
fordert, seit dem BuKo 2019 auf Eis liegt.
Zudem
vertreten wir die feste Überzeugung, dass die Frage, wie Linksjugend
['solid] und DIE LINKE zum Islam stehen, letztlich maßgeblich über
ihre weitere Existenz entscheidet. Eine Linke, die aus falscher
Rücksichtnahme keine Kritik an einer reaktionären Ideologie wie dem
Islam zu üben bereit ist, macht sich selbst überflüssig. Mehr
noch: Diese Linke verrät universelle Werte, ja sie erteilt dem
Sozialismus, der für sie nicht mehr als eine hohle Phrase darstellt,
eine Absage und leistet islamistischen Menschenfeinden Schützenhilfe,
indem sie kritische Stimmen – egal ob sie wie in unserem Fall im
eigenen Verband oder aus der migrantischen oder ex-muslimischen
Community stammen – aus der Debatte tilgt.
Trotz
dieser guten Argumente für ein Weitermachen haben wir uns
entschlossen die Frage, ob und in welcher Form wir unsere Arbeit
fortsetzen werden, zu einem späteren Zeitpunkt – nach dem
anstehenden Schiedsverfahren – klären zu wollen. Wir
schauen dabei mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die
vergangenen Jahre zurück. Als Landesarbeitskreis wollen wir darum
die Gelegenheit nutzen und allen danken, die unsere Arbeit als
Referenten, Veranstalter oder Weggefährten in dieser Zeit begleitet
haben. Unter
anderem: Stephan Grigat, Justus Wertmüller, Felix Riedel, Kazem
Moussavi, Fathiyeh
Naghibzadeh,
Ulrike Becker, Farshid Feridony, Naida Pintul, dem Mideast Freedom
Forum, Dissens – Antifaschistische Gruppe Erfurt, Association
Progrès, Aktionsgruppe gegen Antisemitismus Jena, dem ASTA der Uni
Oldenburg, BAK Shalom, Linksjugend Sachsen-Anhalt, Linksjugend Halle,
Linksjugend Leipzig (vor dem Ausschluss der RadikalfeministInnen).
Außerdem
danken wir ausdrücklich allen, die uns privat wie öffentlich in den
letzten Wochen ihre Solidarität und Unterstützung bekundet haben,
ebenso wie den aufrechten Genossinnen und Genossen unseres
Landesverbandes, welche sich bis zuletzt gegen unsere Auflösung
aussprachen. Schön zu sehen, dass Sisyphos' Arbeit wohl doch nicht
ganz unsinnig ist.
Es
war uns eine Freude. Macht's gut & auf Wiedersehen.
Ihr
werdet sicherlich nicht zum letzten Mal von uns gehört haben.
Euer
Landesarbeitskreis Sisyphos